Islam und Psychologie - von Smaragd

 

Islam, Psychologie, Psychotherapie – ist das überhaupt vereinbar?

 

An wen richtet sich dieser Eintrag?

Dieser Eintrag richtet sich an Muslime, die am Thema Psychologie bzw Therapie interessiert sind und ebenso an Muslime, die mit sich hadern, ob es sinnvoll wäre einen Therapeuten hier in Deutschland aufzusuchen...und ebenso an nicht-muslimische Psychologen, die neugierig sind wie Muslime ticken (auch ohne Bombe).

 

Ich möchte kurz zu meiner Person und dem Zweck dieses Berichts ein paar Dinge vorab erwähnen. Dieses Schriftstück hier soll keinem als Fatwa/ islam. Rechtsurteil dienen, sondern es geht mir um ein Stück Aufklärung und Verständnis für die, den meisten Menschen unbekannte Welt der Psychologie. Mir selbst hat sich als relativer Frischling im Islam und meinem Wunschberuf Therapeutin auch vor Studienbeginn die Frage gestellt, inwiefern diese Themen vereinbar sind. Als klinische Psychologin, derzeit in Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin und konvertierte Muslima möchte ich meine bisherigen Erkenntnisse teilen und vielleicht ein wenig Licht ins Dunkel bringen. Ganz im therapeutischen Sinne liefere ich keine fertigen Antworten, sondern am Ende musst du selbst entscheiden ;)

 

Wieso überhaupt ein Beitrag zu dem Thema?

Psychische Erkrankungen kommen häufiger vor als es den Meisten vielleicht überhaupt bewusst ist. An sich verbinden die Meisten mit psychischen Problemen viele negative Assoziationen wie: „der ist verrückt“, „lieber mal auf Abstand gehen“, „aus was für einer Familie kommt der denn“, usw. Deshalb löst es bei Betroffenen psychischer Erkrankungen oft ein Schamgefühl aus darüber zu reden und manchmal ist dieses Schamgefühl vielleicht auch so groß, dass man sich selbst nicht eingestehen möchte, wie sehr man leidet und auch nicht bereit dazu ist sich professionelle Hilfe zu suchen.

Bei praktizierenden Muslimen kann unter Umständen, diese Scham noch größer sein. Denn letztlich kann doch jemand, der seinen Glauben voller Vertrauen in Gott und in Gottes Ehrerbietung praktiziert, schließlich kein psychisches Problem haben! Oder etwa doch? Und überhaupt, was will der Therapeut schon groß helfen? Nur Gott kann mir helfen und am Ende wird der Therapeut bestimmt alles auf den Islam schieben. Noch schlimmer er wird versuchen ihn „wegzutherapieren“ und der praktizierende Muslim hat Sorge um sein endgültiges Seelenheil im Jenseits.

 

Ich habe absichtlich die Klischees und damit verbundenen Ängste etwas überspitzt dargestellt. Vielleicht findet sich der ein oder andere dennoch in einigen der geäußerten Bemerkungen wieder. Und wenn jemand gerade ganz mutig ist, hier als Kostprobe eine kleine therapeutische Übung: welche Bedenken hast du in Bezug auf dieses Thema? Schreibe sie auf ohne groß zu überlegen. Lies sie dir nochmals durch und schätze ein für wie wahr du sie hältst. Viel Spass ;)

 

Was genau meint man mit Psychologie und Therapie? Was passiert da?

Oft lösen unbekannte Dinge, ein bedrohliches Gefühl aus und deshalb meidet man sie lieber. Hier erst mal einen groben Überblick über die Worte:

Die Psychologie ist eine empirische Naturwissenschaft, die das Erleben und Verhalten von Menschen verstehen möchte. Empirisch bedeutet, dass die Erkenntnisse die in der Forschung gewonnen werden aufgrund von messbaren Beobachtungen erhoben werden. Wobei empirische Studien an sich keine absoluten Wahrheiten hervorbringen können und ihre Einschränkungen kritisch reflektiert werden.

Auch die Psychologie wird durch den Zeitgeist beeinflusst und es herrschen beim Arbeiten in der Forschung Paradigmen, also eine Art Brille durch die auf die Welt geblickt wird. Wir alle haben unsere Brillen auf und davon bleibt auch die Forschung nicht verschont. Ansonsten hält sich das Forschungsfeld der Psychologie mit dem moralischen Zeigefinger soweit zurück wie möglich. Keine Sorge, so ganz uneingeschränkt wie ihr es vielleicht aus Filmen zum Stanford Prison Experiment oder Milgram Experiment kennt, darf nicht mehr geforscht werden - es gibt Ethikkommissionen.

 

Soviel zu den alles wissenden, hellsehenden, gedankenlesenden Psychologen. Ich hoffe ich konnte die Sorgen über das Vorgehen erleichtern und hypnotisch mit etwas Langeweile verankern. Das nächste Mal beim Wort Psychologen kommt nur ein Gähnen, wenn dies der Fall ist, weisst du die Texthypnose wirkt.

 

Diagnose, psychische Störung – was heisst das überhaupt?

Psychologen, Psychiater (Nervenärzte) oder Therapeuten stellen Diagnosen für psychische Erkrankung. Eine psychische Störung diagnostiziert zu bekommen, bedeutet, dass man eine Mindestanzahl von Symptomen aus dem jeweiligen Störungsbild erfüllt. Die Kriterien für psychische Störungen sind im Diagnosesystem des ICD-10 der WHO nachzulesen oder im DSM-V von der APA und beide haben ähnliche Diagnoseschlüssel. In Deutschland wird der Diagnoseschlüssel des ICD-10 aus dem Kapitel F verwendet (für jene die es ganz genau wissen wollen oder sich schon immer gefragt haben was in ihrem ICD drinnen steht).

Beide Diagnosesysteme haben verschiedene Diagnosen und deren Symptome aus Praxis und Forschung zusammengetragen. Dafür gibt es ein Gremium aus Psychologen, Wissenschaftlern, Psychiatern usw., die sich mit ihren Kompetenzen zusammentun und besprechen was am sinnvollsten wäre für die Diagnostik. Die Störungsbilder sind ganz unterschiedlich, von häufigeren Diagnosen wie Depression und Angststörungen und anderen Diagnosen wie posttraumatische Belastungsstörungen, Zwangsstörungen, Schlafstörungen bis hin zu komplexeren Diagnosen wie Schizophrenie oder Persönlichkeitsstörungen. Keine Sorge es stehen noch viele weitere tolle Diagnosen zur Auswahl aus, die man verpasst bekommen kann :D.

 

Nun zur Anwendung psychologischer Erkenntnisse: die Therapie – was ist das?

Therapie ist kein einheitlicher Weg, sondern auch hier gibt es ähnlich wie im sunnitischen Islam mit den Rechtsschulen, ganz unterschiedliche Therapieschulen. Die Schulen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Entwicklungsgeschichte, ihrem zugrunde liegenden Menschenbild und den daraus resultierenden Techniken mit denen sie die Therapie voranbringen wollen.

 

In Deutschland werden von den Krankenkassen bisher zwei Formen der Therapien finanziell übernommen: die Verhaltenstherapie (VT) und die Tiefenpsychologie (TP). Das bedeutet nicht, dass andere Therapieformen nicht helfen, aber zu ihnen gibt es in Deutschland wenig Tradition oder zu wenig Forschung. Ich möchte hier mehr zur Therapieform der VT erläutern, da ich mir wünsche hier einen Kundenstammkreis aufzubauen - Scherz beiseite, darin liegt durch meine Fachausbildung mein therapeutischer Kompetenzbereich. Um es kurz und unvollständig zu machen: die Tiefenpsychologen haben als einen ihrer berühmt berüchtigten Vertreter Sigmund Freud. TP sucht nach den Ursachen psychischer Erkrankungen schon früh in der Vergangenheit. Die Vergangenheit, die uns nicht los lässt und die wir unbewusst mit in unsere Gegenwart genommen haben. Oft steht im Fokus die Beziehung zu den frühen Bezugspersonen, meist sind das die Eltern. Insgesamt gibt die Krankenkasse einem mehr Zeit um seine eigene Geschichte zu elaborieren (ca 100 Std). Die Beziehung zum Therapeuten ist eher von einem Ungleichgewicht gekennzeichnet. Der Therapeut befindet sich mehr in der Position des Alles-im-Blick-habenden und gibt selbst wenig von sich preis....er dient als Spiegel der Vergangenheit des Klienten und diese zeigt sich durch das, was in der Beziehung mit dem Therapeuten erlebt wird.

 

Für die VT sieht das Menschenbild eher trockener aus. Die VT versucht konkret am Verhalten, Gedanken, Gefühlen und körperlichen Reaktionen zu arbeiten und zu sehen welche Bedingungen dieses schädliche Verhalten aufrechterhält und fragt weniger nach dem Warum in der Entstehungsgeschichte nach, sondern schaut was aktuell im Vordergrund steht. Die Beziehung zwischen Klient und Therapeut ist die eines Teams: der Therapeut bringt das Fachwissen mit und der Klient weiss am besten über sich Bescheid – gemeinsam schaut man nach einer Lösung.

 

Aber beide Therapieansätze liefern dem Klienten keine fertigen vorgekauten Lösungen, sondern es ist ein Veränderungsprozess der in Gang getreten wird.

 

Gibt es islamische Therapie?

Es gibt Studien zu islamischen Themen in der Therapie. Im Islam wird man, wenn man genauer hinsieht, viele, viele therapeutische Ansätze finden, so dass man daraus wohl ein Therapiekonzept erstellen könnte. Zukünftig wäre es sicher nicht ausgeschlossen, sofern sich jemand darum bemüht dazu Forschungen zu etablieren. So fand der Buddhismus schon aktuell Eingang in die VT durch die Achtsamkeit und es gibt viele Therapiestunden dazu, wobei auch dieses Konzept in vielen Aspekten mir mit dem Islam konform zu gehen scheint.

Bisher jedoch wäre mir nicht bekannt, dass es schon anerkannte muslimische Therapierichtungen gibt. Einige muslimische Länder wie z.B. Malaysia oder Katar bilden auf universitärem Niveau in Psychologie und islamischem Wissen aus. Auch gibt es in England einen kleinen Kurs zum Thema islamische Psychologie beim Muslim Cambridge College.

 

In Deutschland bildet bisher der Verein IASE e.V. einen Stützpunkt für die Zusammenarbeit von Muslimen in sozialen Berufen, also auch muslimischen Therapeuten.

 

Kann mir ein muslimischer Therapeut besser helfen?

Therapie bedeutet Veränderung. Und alles Unbekannte fühlt sich erst mal unangenehm an. Warum ich dies hier nochmal erwähne? Um die am Anfang überspitzt dargestellten Sorgen besser einbeziehen zu können.

Egal für welche Therapie man sich entscheidet, ist ein wesentliches Element davon, dass man eine Beziehung miteinander eingeht. Der Therapeut in der Rolle als Helfer und der Klient als Hilfesuchender. Wie in jeder Beziehung ist es wichtig Toleranz, Respekt und Sympathie füreinander zu haben. Nur so wird Therapie effektiv. Der Mensch ist nun mal keine Maschine, bei der die bloße Anwendung diverser Techniken ausreicht, um das Getriebe wieder zum Laufen zu bringen. Der Therapeut versucht, um helfen zu können, sein Gegenüber genau zu verstehen und herauszufinden warum die Symptome, die doch auch Leiden verursachen, dennoch momentan bestehen bleiben. Dazu hört der Therapeut genau zu und versucht sich ein Bild vom Klienten und seinem Leben zu machen. Um das zu können mag es sein, dass der Therapeut viel hinterfragt und nachfragt, damit dem Klienten vielleicht doch einiges klarer wird. Manches ist dem Klienten vielleicht vorher gar nicht so aufgefallen und könnte eventuell Teil der Symptomatik sein. Wenn der Klient immer wieder äußert wie schwierig das Leben mit Bart oder Kopftuch sei oder überhaupt wie viel Stress es macht 5x am Tag zu beten, kann es also passieren, dass der Therapeut an dieser Stelle die Aufgabe hat nachzufragen, wieso jemand etwas tut, was ihm laut eigenen Angaben so viel Stress einbringt. Das bedeutet aber wiederum nicht, dass der Therapeut (sofern er professionell arbeitet) einen davon wegbringen möchte. Es geht nur darum zu verstehen. Und wenn ein Muslim sich so sehr über sein Leben durch den Islam beklagen sollte, dann klingt es doch durchaus logisch da mal nachzuhaken. Denn Glaube sollte als eine Kraftquelle dienen und wenn man selbst nur Negatives darüber zu sagen hat, dann sollte sich der Muslim selbst fragen, ob seine Perspektive auf den Islam angemessen ist und er sich je selbst hinterfragt hat, wieso er sich als Muslim sieht. Ja das schreibe ich hier, auch wenn nun einige empört sind. Eine Entscheidung für eine Religion sollte eine bewusste Entscheidung sein. Man sollte sein Herz kennenlernen und ein Nachfragen von jemandem anderen Glaubens nicht als Bedrohung des eigenen Glaubens empfinden. Wenn nicht Du dein Herz kennenlernen willst – Gott kennt es ja doch.

 

Klar ein gläubiger, muslimischer Therapeut kennt vielleicht die gewünschten Antworten auf die Fragen, wieso und warum jemand praktiziert oder glaubt, aber letztlich geht es ja auch hier um den individuellen Menschen und wieso gerade er dies oder jenes tut. Mal abgesehen davon, dass es sowieso nicht nur DEN ISLAM gibt und fertig. D.h. einem nicht-muslimischen Therapeuten kann es eventuell leichter fallen offen und neugierig nachzufragen, wenn der Glaube beim Problem eine Rolle spielt. Andererseits bedarf es beim praktizierenden, muslimischen Therapeuten weniger an Erklärung, wobei darin auch die Krux liegen kann. Wie alles im Leben hat auch dies seine Vor- und Nachteile für die therapeutische Beziehung. Wobei das wichtigste ist, dass der Therapeut gut ist und es auf zwischenmenschlicher Ebene passt – egal welches Lebensbild man hat.

 

Ich hoffe der Beitrag konnte dir einen Einblick in das Themengebiet geben und ganz im therapeutischen Sinne übergebe ich nun an dich die Verantwortung ….ja dies ist das Ende wie jene Filme deren Ende..............